Interview
Zwischen Politik und Kapitalmarkt – Interview mit Dr. Oliver Wagner, Leiter des Berliner Büros des Bundesverbands für strukturierte Wertpapiere (BSW)
ideas: Herr Dr. Wagner, Sie sind seit Anfang April Leiter des Berliner Büros des Bundesverbands für strukturierte Wertpapiere (BSW). Wie ist Ihr Fazit nach dem ersten halben Jahr?
Dr. Oliver Wagner: Ich bin ja nicht in das berühmte »kalte Wasser« gesprungen. Ich kannte den BSW und die Themen schon seit Jahren und habe mit dem Team immer wieder zusammengearbeitet. Auch die Arbeit in Verbänden war mir aus meiner bisherigen Tätigkeit vertraut. Ich konnte daher nahtlos loslegen, unterstützt nicht nur vom großartigen BSW-Team, sondern auch durch den Support der Mitglieder und Fördermitglieder. Das Arbeiten in Verbandsgremien war mir ebenfalls vertraut, aber beim BSW gibt es eine noch direktere und persönlichere Zusammenarbeit mit der Community und ihrem großen Fachwissen. Das hilft unglaublich bei den vielen Herausforderungen, die wir auf dem Tisch haben und die auch manchmal recht kurzfristig hinzukommen wie Anfragen der BaFin im Sommer. Die Themen sind also facettenreich, und die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern und Fördermitgliedern sowie dem Team ist immer sehr konstruktiv und lösungsorientiert.
Können Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen? Waren Sie schon immer mit der Bank- bzw. Finanzszene verbunden?
Im Juli 2000 habe ich als Jurist im Börsen- und Kapitalmarktbereich des Bankenverbands angefangen und kam schon früh mit strukturierten Wertpapieren in Berührung. Seinerzeit wurde auf europäischer Ebene die umfassende Reform des Prospektrechts diskutiert, die zu Beginn stark auf klassische Anleihen fokussiert war. Im Laufe der Diskussion konnten wir damals gemeinsam mit den Emittenten strukturierter Wertpapiere erreichen, dass das Rahmenwerk so ausgestalten wurde, dass es auch für Anlegerinnen und Anleger geeignet war, die in strukturierte Wertpapiere investieren möchten. Als das neue Recht in Kraft trat, haben wir in Workshops zusammen mit der BaFin und Vertretern der Emittenten überlegt, wie die Erstellung und Billigung von Prospekten in der Praxis umgesetzt werden kann. Mit vielen Kolleginnen und Kollegen, sowohl von der Aufsicht als auch aus den Instituten, stehe ich nach wie vor in Kontakt. Nach dem neuen Prospektrecht betreute ich weitere Regulierungen wie die MiFID. Beim Verband der Auslandsbanken, wohin ich 2009 wechselte, blieb der Kapitalmarkt einer meiner Schwerpunkte, insbesondere, als es im Zuge des Brexits darum ging, den Finanzplatz Deutschland als bedeutenden Hub attraktiv auszugestalten.
Frankfurt wird oft als die deutsche Hauptstadt der Banken bezeichnet. Wie wichtig schätzen Sie die Präsenz des BSW im (politischen) Berlin ein?
Während meiner Zeit beim Bankenverband in Berlin war ich oft in Frankfurt bei den Mitgliedern. Beim Verband der Auslandsbanken mit Sitz in Frankfurt war ich wiederum viel in Berlin. Das waren oft nur Tagesbesuche. Ich habe dabei immer wieder festgestellt, dass man nur einen begrenzten Einblick auf die Entwicklungen vor Ort erhält, wenn man wieder auf dem Sprung ist. Dies gilt vor allem, weil Berlin und Frankfurt sehr unterschiedlich »ticken«. In Berlin die Politik, Ministerien und Verbände – in Frankfurt die Wirtschaft und der Kapitalmarkt. Ich vermeide, wie andere von »Bubbles« zu sprechen, weil das eine wertende Konnotation hat. Gleichwohl gilt: Die räumliche Trennung des »politischen« Berlins von den Bankenvertretern in Frankfurt – immerhin rund 420 Kilometer Luftlinie – verhindert den Austausch, wie man ihn in London oder Paris hat, wo Politik und Wirtschaft sich einfacher begegnen können. Und daher ist es sehr hilfreich, dass der BSW zwei Standorte hat, um in beide Richtungen zu wirken. Unsere Arbeit gleicht manchmal der eines Übersetzers: Wir müssen unseren Mitgliedern verständlich die Beweggründe der Politik erläutern und umgekehrt in Berlin die Auffassungen der Mitglieder und hierbei jeweils den Gesamtkontext darlegen.
Vor etwa einem Jahr fand die Umbenennung des vormals Deutschen Derivate Verbands in Bundesverband für strukturierte Wertpapiere statt. Welche Initiativen wurden in dieser Zeit besonders vorangetrieben?
Wir haben wichtige Projekte wie die Reform unserer Produktklassifizierung umgesetzt, um noch mehr Informationen, Transparenz und Struktur für die Finanzinstrumente unserer Mitglieder zu schaffen. Zwar haben wir nicht bei null angefangen, aber die Entwicklungen der vergangenen Jahre verarbeitet, die neue Systematik mit den Mitgliedern abgestimmt. Wir haben sie auch der BaFin vorgestellt und deren Anmerkungen eingearbeitet. Insgesamt war das eine wichtige Arbeit für alle Beteiligten, da wir allen Stakeholdern noch einmal vor Augen führen konnten, welchen Mehrwert, welche Risiken, aber auch welche Chancen strukturierte Wertpapiere bieten. Das ist auch für unsere politische Arbeit enorm hilfreich. Darauf aufbauend werden wir die Erhebung unserer Marktdaten umstellen. Wir arbeiten derzeit daran, deren künftige Meldung durch die Mitglieder zu automatisieren und so den Aufwand zu reduzieren. Zeitgleich überarbeiten wir unseren Nachhaltigkeitskodex, konzipieren neue Formate, um die Aufklärung zu strukturierten Wertpapieren weiter auszubauen, und engagieren uns bei der Initiative zur Finanzbildung, die das Finanz- und Bildungsministerium gestartet hat.
Eine Initiative der Politik, insbesondere des Finanzministeriums, ist das private Altersvorsorgedepot. Können Sie uns hierzu mehr erzählen und inwieweit involviert sich der Verband in solche Vorstöße?
Seit Kurzem liegt der Gesetzesentwurf vor, der viele gute Ansätze beinhaltet, um die private Altersvorsorge voranzubringen. Es besteht fast Einigkeit, dass aufgrund der demografischen Entwicklungen allein die gesetzliche Altersvorsorge nicht ausreichen wird. Auch die Erkenntnis, dass das Riester-Sparen nicht nur bürokratisch, sondern renditearm ist, teilen viele. Daher ist es richtig, auf Garantien und lebenslange Verrentungen zu verzichten, da sie die Renditen stark mindern. Leider hat das Finanzministerium in seiner Positivliste der Finanzinstrumente Schuldverschreibungen wie strukturierte Wertpapiere »vergessen«. Neben Aktien und Anleihen der öffentlichen Hand sollen Anleger nur in Fonds und ETFs bis zur Risikoklasse 5 investieren dürfen. Dabei wurde übersehen, dass viele strukturierte Wertpapiere unserer Mitglieder in der Risikoklasse 5 oder darunter einzuordnen sind. Diese Risikoklassen sind das zentrale Risikomaß für alle Finanzprodukte nach der europäischen PRIIPs-Verordnung, die in den Informationsblättern durch den sogenannten Summary Risk Indicator (SRI) angegeben werden. Er basiert auf dem finanzmathematischen etablierten Value-at-Risk-Ansatz und bezieht neben Marktrisiken die Bonität eines Emittenten ein. Aus unserer Sicht ist hier eine Gleichbehandlung erforderlich, zumal strukturierte Wertpapiere auch zur Anlage bei Marktlagen geeignet sind, die Fonds und Aktien nicht abdecken können, zum Beispiel, wenn sich die Märkte seitwärts bewegen.
Wagen wir zum Abschluss einen Blick in die Zukunft. Welche Themen stehen in den kommenden zwölf Monaten auf der Agenda?
Unsere politische Agenda prägen wird in den nächsten zwölf Monaten die Diskussion über die private Altersvorsorge, wobei hier auch die politische Großwetterlage in Berlin mitentscheidend sein wird. Auf europäischer Ebene werden die neue Kommission und das neugewählte Parlament aktiv. Hier steht die Retail-Investment-Strategy auf der Agenda, die den rechtlichen Rahmen für das Wertpapiergeschäft reformieren soll. Die Diskussion ist recht weit fortgeschritten. Wir sollten uns einmal überlegen, den Ball aufzufangen, den BaFin-Präsident Mark Branson geworfen hat, und über die Komplexität der Regulierung nachdenken. Zwanzig Jahre nach Inkrafttreten der ersten MiFID ist es unseres Erachtens an der Zeit für eine ehrliche Bestandsaufnahme des Rechtsrahmens. Das werden wir auch in Brüssel adressieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.