Interview
Mit kühlem Kopf und klarer Strategie handeln – Interview mit Heiko Thieme, Börsenexperte und (F)Influencer
ideas: Herr Thieme, Sie sind quasi schon Ihr ganzes Leben an der Börse aktiv. Können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie das erste Mal mit den Finanzmärkten in Berührung gekommen sind?
Heiko Thieme: Ja, das kann ich genau sagen. In den späten 1960er-Jahren lebte ich während meines Studiums in Hamburg bei meinem Onkel Paul. Er war sehr an der Börse interessiert und hörte sich täglich die Börsenberichte an. So wurde ich unbewusst mit der Börse konfrontiert. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich morgens aufwachte und die Stimmen der Börsenreporter hörte. Diese frühe Prägung führte dazu, dass ich mich während meines Studiums in Hamburg mit dem Thema Börsenzulassungsvoraussetzungen beschäftigte. Ich wollte eine Doktorarbeit darüber schreiben und bekam schließlich ein Stipendium in Berkeley, wo ich mich intensiv mit dem Thema auseinandersetzte.
Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Welt des Investierens im Laufe der Jahre verändert?
Die Welt hat sich ständig verändert. Wir können bis zur industriellen Revolution zurückblicken, die viele Innovationen hervorgebracht hat. Die Dampfmaschine, die Eisenbahn und später das Auto haben die Welt revolutioniert. Heute erleben wir eine Beschleunigung durch Technologien wie Künstliche Intelligenz und das Internet. Diese Entwicklungen bieten neue Möglichkeiten, sich am Kapitalismus zu beteiligen. Jeder kann heute mit kleinen Beträgen investieren und vom Wachstum profitieren. Die Börse ermöglicht es, dass nicht nur große Investoren, sondern auch jeder Einzelne an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben kann. Ich sehe auch, dass die Informationsverfügbarkeit heute viel höher ist. Früher waren Informationen über die Märkte schwerer zugänglich. Heute hat jeder über das Internet Zugang zu Daten und Analysen, was den Anlegern mehr Macht und Verantwortung gibt.
Was raten Sie Anlegern, die in unsicheren Zeiten einen kühlen Kopf bewahren wollen?
Das Wichtigste ist, keine Panik zu bekommen. Ich empfehle, in Krisenzeiten zunächst abzuwarten und etwa 10 bis 20 Prozent der Ersparnisse in Liquidität zu halten. So kann man schnell auf Marktchancen reagieren. In der Vergangenheit haben wir oft gesehen, dass sich die Märkte nach Krisen erholen. Diversifikation ist ebenfalls entscheidend, um Risiken zu minimieren. Man sollte nicht alles auf eine Karte setzen, sondern ein ausgewogenes Portfolio haben. Das hilft, auch in turbulenten Zeiten ruhig zu bleiben. Ich erlebe oft, dass Anleger in der Aufregung überreagieren. Ein kühler Kopf und eine klare Strategie sind in solchen Zeiten Gold wert. Es ist auch wichtig, sich regelmäßig über die Entwicklungen am Markt zu informieren, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.
Können Sie mehr über Ihre eigene Investitionsstrategie erzählen?
Ich habe die »Drei-Drittel-Strategie« entwickelt, bei der ich nie sofort alles investiere. Stattdessen steige ich schrittweise in den Markt ein. Ich kaufe in drei Tranchen: eine beim Einstieg, eine bei einem Rückgang und eine weitere, wenn der Markt weiter fällt. Das hilft, emotionale Entscheidungen zu vermeiden und in volatilen Zeiten rational zu handeln. Geduld und Disziplin sind entscheidend, um langfristig erfolgreich zu sein. Zudem ist es wichtig, regelmäßig zu überprüfen, ob die Investitionen noch den eigenen Zielen entsprechen. Ich empfehle auch, sich nicht von kurzfristigen Marktentwicklungen leiten zu lassen. Langfristiges Denken ist entscheidend. Wenn man beispielsweise in einen Indexfonds investiert, sollte man sich bewusst machen, dass es Schwankungen geben wird. Die langfristige Entwicklung ist jedoch entscheidend für den Erfolg.
Seit einiger Zeit sind Sie auch als (F)Influencer auf Instagram aktiv und haben inzwischen über 190.000 Follower. Wie ist die Idee entstanden, einen eigenen Kanal zu starten?
Die Idee kam von einem Trainee, der mir vorschlug, meine Marktanalysen auf Instagram zu teilen. Zunächst war ich skeptisch, da ich nicht wusste, wie ich mich dort präsentieren sollte. Aber ich habe das Projekt gestartet und es ist sehr gut angekommen. Ich teile täglich kurze, informative Beiträge zu aktuellen Marktgeschehnissen und versuche, komplexe Themen einfach zu erklären. Die Reaktionen sind überwältigend, und ich freue mich, dass ich so viele Menschen erreichen kann. Durch Instagram habe ich die Möglichkeit, mit einer jüngeren Zielgruppe zu kommunizieren, die vielleicht nicht die traditionellen Finanzmedien konsumiert. Das Feedback ist oft sehr direkt, aber auch inspirierend, was mir hilft, meine Inhalte weiter zu verbessern.
Auf Instagram veröffentlichen Sie die »Idee des Tages«. Wie wählen Sie diese aus?
Ich nutze eine Vielzahl von Quellen, von Zeitungen bis zu sozialen Medien. Ich kombiniere fundamentale und technische Analysen und verlasse mich letztlich auch auf mein Bauchgefühl. Es ist wichtig, die Informationen kritisch zu betrachten und die Realität von Illusionen zu unterscheiden. Manchmal lasse ich mich auch von aktuellen Ereignissen inspirieren, die für die Anleger von Bedeutung sein könnten. Die Herausforderung besteht darin, die relevanten Informationen herauszufiltern und sie in einer verständlichen Form zu präsentieren.
Ich versuche auch, die Themen so zu wählen, dass sie für meine Follower von praktischem Interesse sind.
Zudem gibt es den Heiko Thieme Club. Was hat es damit auf sich?
Der Heiko Thieme Club (kostenpflichtig, Anm. d. Redaktion) wurde 2016 gegründet und dient als Plattform für den Austausch über Wirtschaft, Politik und Börse. Wir diskutieren wöchentlich aktuelle Themen und geben Anlegern praktische Ratschläge. Das gesprochene Wort hat den Vorteil, dass es überall konsumiert werden kann – ob im Auto oder beim Sport. Es ist eine großartige Möglichkeit, Wissen zu teilen und die Mitglieder aktiv in die Diskussion einzubeziehen. Wir laden auch Gäste ein, die ihre Perspektiven und Erfahrungen mit uns teilen.
Was denken Sie über die Zukunft der Finanzmärkte und die Rolle der Technologie?
Ich glaube, dass die Technologie eine transformative Rolle in der Finanzwelt spielt. Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, Blockchain und anderen Technologien wird die Art und Weise, wie wir investieren und handeln, revolutionieren. Diese Technologien bieten neue Möglichkeiten für Transparenz und Effizienz. Gleichzeitig müssen wir jedoch wachsam sein, um die Risiken zu erkennen, die mit diesen Veränderungen einhergehen. Ich bin optimistisch, dass wir durch den Einsatz neuer Technologien eine breitere Zugänglichkeit zu den Märkten schaffen können. Das wird es mehr Menschen ermöglichen, aktiv am Investieren teilzunehmen und von den Chancen zu profitieren, die die Märkte bieten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.