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CO2-Neutralität von Wasserstoff ist das Ziel: Interview mit Dr. Dina Barbian, Geschäftsführerin am »eco2050 Institut für Nachhaltigkeit«

ideas: Frau Dr. Barbian, Sie sind Geschäftsführerin am »eco2050 Institut für Nachhaltigkeit«. Können Sie uns kurz erzählen, welche Ziele das Institut verfolgt?
Dr. Dina Barbian: 
Seit der Gründung des Instituts im Jahr 2012 verfolgen wir in allen unseren Projekten nicht nur finanzielle, sondern auch ökologische und soziale Ziele. Seit 2015 integrieren wir in allen unseren Projekten die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. In erster Linie geht es im eco2050 Institut um Wissensvermittlung rund um die Themen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Technologisierung. Als Ausgründung aus dem Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Universität Erlangen-Nürnberg haben wir überdies Forschungsziele.

Ein Hoffnungsträger für die Dekarbonisierung ist die Wasserstoffwirtschaft. In welchen Sektoren lässt sich Wasserstoff überhaupt einsetzen?
Wasserstoff wird in erster Linie zur Herstellung von Ammoniak, von Methanol und zur Entschwefelung gebraucht. Wasserstoff wird zu einem großen Teil durch Dampfreformierung aus Erdgas erzeugt, was zusätzliche CO2-Emissionen freisetzt.
Damit Wasserstoff tatsächlich zum Hoffnungsträger für die Dekarbonisierung wird, muss er entweder aus erneuerbaren Energien (»grüner« Wasserstoff) oder aus biogenen Stoffen (»orangener« Wasserstoff) hergestellt werden. Wasserstoff hat zwei wichtige Eigenschaften:

  1. Wasserstoff ist ein Energieträger. Bei der Verbrennung entsteht nur Wasser und Energie.
  2. Wasserstoff reagiert mit Kohlendioxid zu einem Kohlenwasserstoff und Sauerstoff.

In beiden Fällen findet eine Dekarbonisierung statt.
Es ist wichtig zu beachten, dass es darauf ankommt, wie Wasserstoff hergestellt wird, damit er tatsächlich über die komplette Wertschöpfungskette zur Dekarbonisierung beiträgt. Er könnte zukünftig in folgenden Sektoren eingesetzt werden:

  1. Verkehr: Wasserstoff kann als CO2-neutraler Treibstoff für Brennstoffzellenfahrzeuge verwendet werden (Schifffahrt, Schienenverkehr, Lastkraftwagen, Flugzeuge).
  2. Industrie: Wasserstoff kann als Prozessenergie oder als Rohstoff in chemischen Reaktionen genutzt werden (Stahlindustrie, Chemie, Bauwesen).
  3. Energieerzeugung: Wasserstoff kann zur Stromerzeugung verwendet werden und als Energiespeicher dienen.
  4. Gebäudesektor: Wasserstoff kann in Brennstoffzellen-Heizungen genutzt werden, um Wärme und Strom für Gebäude bereitzustellen

Welche Herausforderungen gibt es im Zusammenhang mit der Gewinnung von Wasserstoff als Energieträger? Und lässt er sich ohne Weiteres transportieren und speichern?
Derzeit gibt es noch einige Herausforderungen. Wasserstoff wird immer noch zu einem großen Teil über Dampfreformierung gewonnen. Damit Wasserstoff zur Dekarbonisierung beitragen kann, muss er aus der Elektrolyse oder durch neuere biologische Verfahren (Fotokatalyse oder Reformierung biologischer Abfälle) hergestellt werden. Auch der Transport und die Speicherung von Wasserstoff sind noch problematisch.
Ein weiteres Hemmnis sind die hohen Kosten bei der Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyse. In sonnenreichen Regionen wie zum Beispiel Spanien oder Nordafrika ist grüner Wasserstoff kostengünstiger herstellbar, allerdings setzt man diese wasserarmen Regionen unter zusätzlichen Wasserstress.
In Deutschland sind laut einem Bericht der European Hydrogen Backbone-Initiative neue Pipelines, Tankstellen, Lagerkapazitäten und Hafeneinrichtungen erforderlich, um Wasserstoff in großem Maßstab zu nutzen.

Ist denn die Wasserstoffproduktion vollkommen CO2-neutral?
Die CO2-Neutralität der Wasserstoffproduktion hängt davon ab, wie der Wasserstoff hergestellt wird. Die zukünftige Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft zielt darauf ab, vermehrt auf grünen Wasserstoff zu setzen, um eine nachhaltige und umweltfreundliche Energiequelle zu gewährleisten. Die einzigen Emissionen entstehen bei der Herstellung der Elektrolyseanlagen und der Infrastruktur.

Wasserstoff wird auch immer mehr ein Thema in der Politik. So hat die Bundesregierung ihre nationale Wasserstoffstrategie erst kürzlich aktualisiert. Dabei möchte sie unter anderem die Elektrolysekapazität bis 2023 so aufbauen, dass 30 bis 50 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs gedeckt werden können. Sind die Ziele Ihrer Einschätzung nach realistisch?
Nein, derzeit ist nicht klar und auch nicht voraussehbar, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Die Realisierbarkeit der Ziele hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter der Ausbau erneuerbarer Energiequellen, technologische Entwicklungen, Investitionen in Infrastruktur und politische Unterstützung.
Die gesteckten Ziele der deutschen Wasserstoffstrategie sind ambitioniert, aber sie spiegeln auch das wachsende Interesse an grünem Wasserstoff als Mittel zur Dekarbonisierung wider. Sicherlich können Kooperationen mit anderen Ländern das Erreichen dieser Ziele beschleunigen, aber auch die wasserstoffexportierenden Länder müssen eine funktionierende Wasserstoffinfrastruktur aufgebaut haben, was Zeit erfordert.

Wenn wir also alle Faktoren einmal bewerten, ist aus Ihrer Sicht der große Fokus auf Wasserstoff gerechtfertigt, oder gibt es andere hoffnungsvolle CO2-neutrale Technologien, die derzeit noch in der zweiten Reihe stehen?
Wasserstoff als CO2-neutraler Sekundärenergieträger ist auf jeden Fall gerechtfertigt, da er das Potenzial hat, in verschiedenen Sektoren zur Dekarbonisierung beizutragen. Allerdings gibt es auch andere vielversprechende CO2-neutrale Technologien, die Beachtung verdienen. Dies sind:

  1. Erneuerbare Energien: Die Nutzung von Solar-, Wind-, Wasserkraft- und Geothermieenergie und Biomasse hat sich bereits als wichtige Quelle für CO2-neutrale Stromerzeugung etabliert.
  2. Energieeffizienz: Die Steigerung der Energieeffizienz in Gebäuden, Industrie und Verkehrssektor kann den Energieverbrauch insgesamt reduzieren und somit die CO2-Emissionen verringern.
  3. Kreislaufwirtschaft und Recycling: Die Förderung von Kreislaufwirtschaftskonzepten und Recycling schont Ressourcen und führt zu einer effizienteren Nutzung von Materialien und zu einer Dekarbonisierung.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.