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Die »Relative Stärke« nach Levy

In den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wurde der Amerikaner Robert A. Levy zum Pionier der sogenannten Momentum-Strategien. Sein Konzept der »Relativen Stärke« nutzt die mittlerweile durch zahlreiche Studien bestätigte Annahme, dass an den Aktienmärkten Gewinner tendenziell Gewinner und Verlierer tendenziell Verlierer bleiben.

Die »Relative Stärke nach Levy« (RSL) sollte nicht mit dem beliebten und von Welles Wilder entwickelten Momentum-Oszillator »Relative Strength Index« (RSI) verwechselt werden. Levys im Rahmen einer Dissertation entwickeltes Konzept der Relativen Stärke zur Aktienkursprognose basiert auf der Annahme, dass Aktien, die in der Vergangenheit eine bessere Performance als der Gesamtmarkt erzielt haben, dies auch in der Zukunft tun werden. Das Konzept ist somit trendfolgend und bestätigt die Grundannahme der Technischen Analyse, dass Trends an den Finanzmärkten existieren und diese Trends dazu neigen, sich fortzusetzen (»the trend is your friend«).

Berechnung der RS-Kennziffer
Levy zielte in seinen Untersuchungen darauf ab, die innere Stärke bzw. das Momentum für die Aktien eines Aktienuniversums zu ermitteln. Anschließend sollte eine Rangliste erstellt werden, um in die so identifizierten stärksten Aktien zu investieren. Zur Feststellung der inneren Stärke entwickelte Levy die RS-Kennziffer. Sie berechnet sich aus dem aktuellen Wochenschlusskurs, dividiert durch die Summe aus dem arithmetischen Mittel der vergangenen 26 Wochenschlusskurse und dem aktuellen Wochenschlusskurs. Diese Verhältniszahl pendelt um den Wert 1. Levy empfahl die Berechnung anhand einer 26-Wochen-Periode. Sie kann sich jedoch auch auf einen anderen Zeitraum beziehen. Üblich sind Zeiträume von 10 bis 54 Wochen. Grundsätzlich gilt, dass eine Aktie (oder ein sonstiger Basiswert) mit einer RS-Kennziffer größer als 1 ein positives Momentum aufweist. Rechnerisch bedeutet dies nichts anderes, als dass sich der Wert über dem Durchschnitt der Wochenschlusskurse der vergangenen 26 Wochen befindet. Entsprechend notieren Werte mit einer RS-Kennziffer unter 1 unterhalb dieser Durchschnittslinie. Der Aktie mit der höchsten RS-Kennziffer im untersuchten Aktienuniversum wird anschließend der Rang 1 zugeordnet, während die relativ schwächste Aktie den letzten Rang belegt. Levy stellte fest, dass die untersuchten Aktien, die in den vergangenen 26 Wochen ein starkes Momentum aufwiesen, auch in den folgenden 26 Wochen überdurchschnittlich performten.

Weiteres Vorgehen
Levy entwickelte verschiedene Portfolio-Modelle, basierend auf seinem Relative-Stärke-Konzept. Dabei wird entweder eine bestimmte Zahl oder ein Prozentsatz (5 Prozent oder 10 Prozent) der obersten Werte der berechneten Tabelle erworben. Im Rahmen eines aktiven Umschichtungsprozesses werden im weiteren Zeitverlauf in regelmäßigen Abständen (in der Regel wöchentlich) die Ranglisten aktualisiert und die relativ schwach gewordenen Werte veräußert, die unter einen sogenannten Cast-Out-Rank abgerutscht sind. Mit dem frei werdenden Kapital werden anschließend die derzeit stärksten Aktien gekauft. Anleger, die, anders als Levy, keinen vollständig systematischen Ansatz in ihrem Handel verfolgen möchten, können die RS-Rangliste als zusätzlichen Filter nutzbar machen. Mit Blick auf den deutschen Aktienmarkt könnten beispielsweise die obersten 10 Prozent der Werte der Rangliste im HDAX (= DAX + MDAX + TecDAX) in eine Watchlist aufgenommen und ausschließlich die anderweitig abgeleiteten technischen Kaufsignale bei diesen relativ starken Aktien gehandelt werden. So könnten etwa kurzfristige Rücksetzer in Unterstützungszonen hinein oder Ausbrüche aus Konsolidierungen als eigentliches Einstiegssignal genutzt werden. Denkbar ist selbstverständlich ebenfalls, zusätzliche fundamentale Auswahlkriterien innerhalb der Watchlist anzuwenden. Beispielsweise der Kauf der Aktien in der Watchlist, die über das niedrigste KGV, KCV, KUV (Kurs-Buchwert-Verhältnis, Kurs-Cashflow-Verhältnis, Kurs-Umsatz-Verhältnis) oder die höchste Dividendenrendite verfügen.

Bärenmärkte vermeiden
Alle Momentum-Strategien haben Performance-Schwierigkeiten in Bärenmärkten, also allgemeinen Abwärtsbewegungen an den Aktienmärkten. Daher erscheint ein entsprechender Filter sinnvoll, der Engagements auf der Long-Seite in einer solchen Baisse ausschließt. Mögliche Filter sind beispielsweise ein Rutsch des der RS-Liste zugrunde liegenden Index unter die 200-Tage-Linie oder ein Dreh der 100-Tage-Linie gen Süden. Allerdings können aktive Anleger das Prinzip der Relativen Stärke auch in einem solchen Bärenmarkt umgekehrt nutzen, indem sie mittels Short-Produkten auf fallende Notierungen in den Basiswerten spekulieren, die eine ausgeprägte Relative Schwäche aufweisen. Für ausschließlich Long-orientierte Anleger erscheint hingegen das Halten einer Cash-Position oder ein Switch in Anleihen als die favorisierte Vorgehensweise, wenn der Gesamtmarkt in eine Baissephase übergeht.

Top-10-Rangliste der Relativen Stärke nach Levy (RSL) im HDAX

HDAX

RSL

Delivery Hero

1,392

RIB Software

1,317

Deutsche Bank

1,299

Sartorius

1,251

Bechtle

1,248

Siltronic

1,236

RWE

1,222

E.ON

1,209

Nemetschek

1,192

Commerzbank

1,188

Stand: 24. Februar 2020; Quelle: Taipan