Wissen

Teil 1 – Ordentliche Kapitalerhöhung

Jeden Investor, der Aktien oder Zertifikate und Optionsscheine auf Aktien hält, kann es erwischen: eine Kapitalmaßnahme. Doch was bedeutet dies eigentlich genau? Bei Kapitalmaßnahmen handelt es sich um Maßnahmen einer Aktiengesellschaft, welche die Kapital- und Stimmrechtsanteile der Aktionäre betreffen. Dabei kann es beispielsweise zu einer Veränderung des Grundkapitals kommen oder zu einer Veränderung in der Aktien- und Stimmrechtsstruktur. In den folgenden Ausgaben möchten wir Ihnen die wichtigsten Kapitalmaßnahmen vorstellen. Lernen Sie anhand von anschaulichen Beispielen, wie sich die entsprechenden Maßnahmen auf Optionsscheine und Zertifikate auswirken können.

Zunächst möchten wir uns der Kapitalerhöhung widmen. Unter einer Kapitalerhöhung werden, wie der Name bereits sagt, diejenigen Maßnahmen verstanden, die das Eigenkapital des Unternehmens erhöhen. Bei einer Aktiengesellschaft wird zwischen der effektiven und nominellen Kapitalerhöhung unterschieden. Bei der Ersteren fließen die Mittel von außen der Gesellschaft zu, während es bei der Letzteren zu einer Umschichtung der Mittel innerhalb der Passivseite der Bilanz der Aktiengesellschaft kommt (zugunsten des Grundkapitals und zulasten der Rücklagen). Unabhängig davon, ob effektiv oder nominell – jede Kapitalerhöhung muss durch die Hauptversammlung beschlossen werden.

Der am häufigsten eintretende Fall einer effektiven Kapitalerhöhung ist die sogenannte ordentliche Kapitalerhöhung. Dabei werden junge bzw. neue Aktien zu einem zuvor festgelegten Emissionspreis ausgegeben. Die Ausgabe von jungen Aktien kann entweder mit oder ohne Bezugsrecht erfolgen. Bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht haben Altaktionäre das Recht, im Verhältnis zum bisherigen Anteil am Grundkapital neue Aktien zu einem festgelegten Bezugskurs zu erwerben. So bekommen die Altaktionäre die Möglichkeit, sich vor dem sogenannten »Verwässerungseffekt« zu schützen, und können ihre prozentuale Beteiligung am Unternehmen halten. Da der Bezugskurs von jungen Aktien unter dem aktuellen Aktienkurs liegt, verteilt sich die Marktkapitalisierung nach der Kapitalerhöhung auf eine höhere Zahl von Aktien und der (neue) Aktienkurs sinkt nach der Kapitalerhöhung.

Der theoretische neue Aktienkurs errechnet sich als arithmetisches Mittel:
Aktienkurs (neu) = (Aktienkurs (alt) x Anzahl von alten Aktien + Bezugskurs der jungen Aktie x Anzahl von jungen Aktien) / (Anzahl von alten Aktien + Anzahl von jungen Aktien)

Macht ein Altaktionär keinen Gebrauch von seinem Recht, kann er die Bezugsrechte an der Börse verkaufen. Dadurch wird er für den Kursverlust entschädigt, der aufgrund der Verwässerung des Eigenkapitals entsteht.

Was passiert nun mit einem Optionsschein oder einem Zertifikat, wenn die zugrunde liegende Aktie plötzlich aufgrund der Kapitalmaßnahme niedriger notiert?
Natürlich müssen auch Inhaber von Optionsscheinen und Zertifikaten, analog zu den Altaktionären, eine Art Wiedergutmachung bekommen. Ansonsten würde zum Beispiel ein Call Optionsschein-Inhaber einen Verlust erleiden, während ein Put Optionsschein-Inhaber einen plötzlichen Gewinn verzeichnen würde. Daher werden die Optionsscheine und Zertifikate wertneutral angepasst, sodass sie nach einer Kapitalmaßnahme so notieren, als ob es keinen Preisrückgang in der zugrunde liegenden Aktie gegeben hätte.

Um eine wertneutrale Anpassung der Produkte zu gewährleisten, wird im ersten Schritt ein sogenannter R-Faktor ermittelt, mit dem die Produkte angepasst werden. Dieser R-Faktor gibt das Verhältnis zwischen dem neuen und alten Aktienkurs an. Die Ermittlung des R-Faktors erfolgt immer zum Handelsschluss am Tag vor dem Bezugsrechtshandel (»Cum-Handelstag«). Zur Festlegung wird dabei der offizielle Schlusskurs (Schlussauktionspreis) der Aktie am letzten Cum-Handelstag herangezogen.

R-Faktor = Aktienkurs (neu) / Aktienkurs (alt)

Alternativ:
R-Faktor = ((Anzahl Aktien alt / Anzahl Aktien neu) x (1 – (Ausgabepreis neue Aktien / Schlusskurs))) + (Ausgabepreis neue Aktien / Schlusskurs)

Im zweiten Schritt erfolgt die konkrete Anpassung der entsprechenden Optionsscheine und Zertifikate. Je nach Optionsschein- oder Zertifikatstyp kann es hier zu unterschiedlichen Vorgehensweisen kommen. So wird in der Regel das Bezugsverhältnis durch den R-Faktor dividiert, während beispielsweise der Basispreis eines Optionsscheins, der Cap eines Discount-Zertifikats und die Obergrenze bzw. die Barriere eines Bonus-Zertifikats mit dem R-Faktor multipliziert werden. Auch die an der Terminbörse gehandelten Optionskontrakte werden mit dem R-Faktor angepasst.

Bei Turbo-Zertifikaten erfolgt die Anpassung in der Regel auf eine andere Weise: Zunächst wird die Differenz zwischen dem alten und neuen Aktienkurs berechnet. Diese Differenz wird dann (analog einer Dividendenzahlung) vom jeweiligen Basispreis und der Knock-Out-Barriere abgezogen, um den neuen Basispreis und die neue Knock-Out-Barriere zu erhalten. Das Bezugsverhältnis bleibt in diesem Fall unverändert.

Praxisbeispiel:
»Die Deutsche Bank AG hatte im März 2017 eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht für die Aktionäre beschlossen. Für je zwei bestehende Aktien erhalten die Aktionäre eine neue Aktie zum Ausgabepreis von 11,65 Euro. Die Bezugsfrist für die neuen Aktien begann am 21. März 2017.«

Der Schlusskurs der Deutsche Bank-Aktie am 20. März 2017 betrug 17,195 Euro. Der R-Faktor wurde mit acht Dezimalstellen ermittelt und berechnete sich wie folgt:

R-Faktor = ((Anzahl Aktien alt / Anzahl Aktien neu) x (1 – (Ausgabepreis neue Aktien / Schlusskurs))) + (Ausgabepreis neue Aktien / Schlusskurs) = ((2 / 3) x (1 – (11,65 /17,195))) + (11,65 /17,195) = 0,89250751

Rückwirkend gerechnet beträgt der »neue« Schlusskurs am 20. März 2017 15,34667 Euro.

Die beispielhafte Darstellung in der Tabelle verdeutlicht, wie die Optionsscheine und Zertifikate der Commerzbank auf die Deutsche Bank-Aktie angepasst wurden. Da bei einigen Produkten nach der Kapitalmaßnahme Bezugsverhältnisse mit Nachkommastellen ausgewiesen werden, kann bei Fälligkeit ein Teil der Rückzahlung in bar erfolgen. Notiert beispielsweise die Deutsche Bank-Aktie am Bewertungstag 18. Mai 2017 über 14,73 Euro, wird bei dem Discount-Zertifikat (WKN: CE8 381) der Cap in Höhe von 14,73 Euro pro Aktie ausgezahlt. Allerdings hat der Zertifikate-Inhaber Anspruch auf 1,1202 Aktien pro Zertifikat. Die Gesamtrückzahlung beträgt demnach 14,73 Euro x 1,1202 = 16,50 Euro, was dem alten Cap (Höchstbetrag) entspricht. Notiert die Aktie hingegen zum Schlusskurs am Bewertungstag bei 14,50 Euro, bekommt der Anleger die Aktie sowie einen Baranteil in Höhe von 1,74 Euro (Baranteil = 14,50 Euro x 0,1202) eingebucht. Der Basispreis und die Knock-Out-Schwelle der Unlimited Turbo-Zertifikate werden um die Differenz zwischen dem alten (17,195 Euro) und neuem Schlusskurs (15,34667 Euro) angepasst. Diese beträgt 1,848333 Euro.

Tabelle 1: Anpassung der Produkte auf Deutsche Bank

WKN

Typ

Basispreis in Euro

Cap in Euro

Knock-Out-Schwelle in Euro

Bezugsverhältnis

alt

neu

alt

neu

alt

neu

alt

neu

CE8 2E4

Optionsschein

16,00

14,28

1

1,1204

CE5 6VP

Optionsschein

22,00

19,64

0,1

0,112

CE8 381

Discount-Zertifikat

16,50

14,73

1

1,1202

CE6 ANV

Discount-Zertifikat

20,00

17,85

1

1,1204

CE5 QYK

Unlimited Turbo-Zertifikat

14,592284

12,743951

15,27

13,421667

0,1

0,1

CE8 G7P

Unlimited Turbo-Zertifikat

20,36364

18,515307

19,47

17,621667

0,1

0,1

Quelle: Commerzbank Corporates & Markets