Technische Analyse
Gewinnrealisierung im Zielbereich
In der letzten Folge haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie sich Stop-Loss-Niveaus definieren lassen, mit denen man sein Trading-Kapital für den Fall schützen kann, dass die eingegangene Position in die Verlustzone rutscht. Entwickelt sich die Position hingegen in die erwünschte Richtung, stellt sich die Frage nach der Gewinnrealisierung. Dabei lässt sich danach differenzieren, ob man auf eine Trendbewegung spekuliert oder lediglich auf eine technische Gegenbewegung entgegen der Richtung des übergeordneten Trends. In dieser Folge widmen wir uns zunächst der letztgenannten Variante.
Auch wenn technisch orientierte Anleger vorwiegend nach dem Motto »The trend is your friend« agieren und somit an ausgedehnten Trendbewegungen partizipieren möchten, gibt es durchaus immer wieder überdehnte Marktsituationen, in denen die Spekulation auf eine technische Gegenbewegung attraktiv erscheint. Diese Attraktivität resultiert in der Regel aus der Kombination aus überkauften bzw. überverkauften markttechnischen Indikatoren, Anzeichen für eine Stabilisierung und der Möglichkeit, für das Erholungsszenario über einen naheliegenden Support oder Widerstand einen engen Stop-Loss definieren zu können, der das Risiko für das eingesetzte Kapital vergleichsweise klein hält. Da jedoch in diesen Fällen eben auch nur auf eine bloße Gegenbewegung im Rahmen des übergeordneten Trends gesetzt wird, sollte möglichst bereits zum Zeitpunkt des Einstiegs auch über die Frage entschieden werden, wo man die Trading-Gewinne realisieren möchte. Denn analytisch muss bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden, dass sich die Position ab einem gewissen Niveau wieder in die unerwünschte Richtung – nämlich die des nächstgrößeren Trends – entwickeln wird. Allzu optimistische Erwartungen hinsichtlich des möglichen Gewinnpotenzials sind daher fehl am Platz.
Festlegung des Zielbereichs
Eine einfache Möglichkeit, das potenzielle Ziel der Gegenbewegung zu definieren, ist, nach dem nächsten relevanten Widerstand (bei einer Long-Position) bzw. der nächsten Unterstützung (bei einer Short-Position) Ausschau zu halten (siehe Grafik 1). Vergangene Hoch- und Tiefpunkte im Chartverlauf oder Kurslücken (Gaps) können hierbei verwendet werden. Viele Trader nutzen Fibonacci-Retracements. War die letzte Welle im übergeordneten Trend recht dynamisch, wird die anschließende Gegenbewegung in der Regel mindestens 23,6 Prozent dieser Welle korrigieren. Bei weniger dynamischen Wellen kommt es meist mindestens zu einem 38,2-Prozent-Retracement (siehe Grafik 2). Eine weitere Technik der Zielbestimmung macht sich die Beobachtung zunutze, dass Gegenbewegungen häufig dreiwellig verlaufen (abc-Korrektur). Einer ersten Korrekturwelle (a) folgt eine Gegenbewegung (b) und schließlich eine zweite Korrekturwelle (c) (siehe Grafik 3). Dabei wird die Welle (c) meist etwa die Strecke zurücklegen, die auch die Welle (a) zurückgelegt hat.
Grafik 1: Gewinnrealisierung am nächsten Support
Grafik 2: Gewinnrealisierung am 38,2-Prozent-Retracement
Grafik 3: Gewinnrealisierung bei abc-Korrektur
Umsetzung mit OCO-Order
Die praktische Umsetzung der Gewinnmitnahme erfolgt am besten mit einer sogenannten One Cancels Other Order, kurz OCO-Order. Dabei handelt es sich um eine Kombinationsorder. Die Ausführung des einen Auftrags führt zur automatischen Streichung des anderen Auftrags. Der eine Auftrag ist in diesem Fall eine Stop-Loss-Order und der andere Auftrag eine Limit-Verkaufsorder am anvisierten Zielbereich.
Nachziehen auf den Einstandskurs
Eine wichtige Trading-Regel besagt, dass man eine Position, die sich einmal signifikant ins Plus bewegt hat, nicht mehr ins Minus laufen lassen sollte. Entsprechend erscheint es sinnvoll, die Stop-Loss-Order ab einem bestimmten Kursniveau auf den Kaufkurs nachzuziehen. Die Position ist mit diesem Nachziehen auf den Einstandskurs – abgesehen von der Möglichkeit einer Kurslücke – aus dem Feuer. Strenge Regeln, ab wann das Nachziehen auf den Kaufkurs erfolgen sollte, existieren nicht. Doch erscheint es sinnvoll, dies spätestens nach dem Abarbeiten von etwa Dreiviertel der Wegstrecke bis zum anvisierten Zielkurs zu tun.