Interview

Abfall ist der neue Rohstoff – Interview mit Peter Kurth, Geschäftsführender Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft

ideas: Herr Kurth, Sie sind Geschäftsführender Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft. Der Verband wurde bereits 1961 gegründet. Ihre 750 Mitgliedsunternehmen beteiligen sich mit ca. 500 entsendeten Experten neben ihrer eigentlichen Tätigkeit an der Verbandsarbeit. Können Sie uns kurz erklären, welche Ziele Sie und Ihre Mitglieder verfolgen?
Peter Kurth: Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft ist bei seiner Gründung als Wirtschaftsverband der privaten Entsorgungsunternehmen in Deutschland gestartet. Seitdem haben Verband und Branche eine dynamische Entwicklung erlebt, die im Rückblick bemerkenswert ist. Aus fast reinen Logistikunternehmen sind wichtige Lieferanten von Rohstoffen geworden. Wir sind sicher, dass sich diese Entwicklung noch verstärken muss, wenn wir ambitionierte Klimaziele erreichen und trotzdem Industriestandort bleiben wollen. Unser Ziel ist die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft, das heißt so viele und so gute Rohstoffe aus Abfällen wie möglich zu gewinnen. Das braucht die richtigen Rahmenbedingungen für unsere Mitglieder, und daran arbeiten wir in Brüssel und in Berlin.

Gefühlt sind weltweit und vor allem in Europa die Themen Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit derzeit so präsent wie noch nie. Dennoch entstehen weiterhin riesige Abfallmengen nicht nur in Haushalten, sondern auch in der Industrie. Wie erklären Sie sich dieses Paradox und wie reagiert die Abfallindustrie darauf?
Städtereinigung, Stadthygiene, Entsorgung – diese Themen sind und bleiben weiterhin wichtig und gehören, wenn Sie so wollen, zur DNA unseres Wirtschaftszweigs. Aber Abfallwirtschaft ist heute wesentlich mehr und in Teilen auch etwas anderes als noch vor 50 oder mehr Jahren. Es geht längst um mehr als nur um Müllbeseitigung. Heute stehen Vermeidung und Verwertung im Vordergrund, und diese Entwicklung schreitet voran. Praktisch alles, was produziert wird, beendet irgendwann die Produktphase und wird Abfall. Entscheidend ist aber, was man daraus macht und wie man mit diesen Materialien umgeht. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft sieht in den entstehenden Abfallmengen keinen Müll, sondern neue Rohstoffe. Wir müssen künftig anders produzieren und konsumieren, also Materialien einsetzen und sie durch Aufbereitung im Kreislauf halten, solange es geht. So gelingen Ressourcenschonung und Energieeinsparung. Beides sind Voraussetzungen zum Klimaschutz.

Worin liegt Ihrer Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg für besseren Umweltschutz? Abfallvermeidung oder effizienteres Recycling?
Die positiven Effekte des Recyclings für den Umweltschutz sind offensichtlich, wie das folgende Beispiel zeigt: Für eine Tonne Aluminium werden in der Primärproduktion knapp 15.000 Kilowattstunden Energie benötigt. Im Recycling liegt die Energieeinsparung bei bis zu 96 Prozent. Die Einsparung bei Kupfer kann bis zu 85 Prozent und beim Einsatz von recyceltem Stahl bis 73 Prozent betragen. Recyclingrohstoffe ersetzen bereits heute Rohstoffimporte im Wert von 8,4 Milliarden Euro. Auch das ist nachhaltig. Durch den Einsatz von Recyclingmaterial werden jährlich 100 Terawattstunden Energie eingespart. Mit dieser Menge lassen sich rund 32 Millionen Privathaushalte in Deutschland mit Strom versorgen. Aber auch die Recyclingverfahren werden immer besser und immer effizienter.

Gibt es denn noch Potenzial, Abfall umweltfreundlicher zu entsorgen oder bei neuen Produkten Abfälle zu vermeiden?
Für beides gibt es noch erhebliches Potenzial. Im Fokus stehen Abfallvermeidung und Kreislaufwirtschaft. Rohstoffe aus Recyclingprozessen können in Deutschland benötigte Primärmaterialien aber nicht vollständig ersetzen. Der gesamte Rohstoffbedarf Deutschlands liegt jährlich bei mehr als 1,7 Milliarden Tonnen. Dem gegenüber steht ein Abfallaufkommen von ca. 420 Millionen Tonnen pro Jahr. Deswegen geht es auch um andere Formen des Produzierens und Konsumierens in unserem Land. Sharing-Modelle, Product-as-a-Service und kreislauffreundliches Produktdesign sind wichtig, um ohne Wohlstandsverluste das nachhaltige Wirtschaften zu ermöglichen. Gutes Recycling, also Kreislaufwirtschaft, setzt eine gute Getrenntsammlung der Abfälle voraus, und da können und sollten wir noch besser werden. Zudem sollten Produkte so langlebig wie möglich hergestellt werden.

Wie stellt sich die Situation in Entwicklungs- und Schwellenländern dar? Hier wächst die Bevölkerung überproportional und damit auch die entstehenden Abfälle. Gibt es hier schon ein Umdenken in Richtung Recycling bzw. ist die notwendige Infrastruktur dafür überhaupt vorhanden?
In vielen Ländern Afrikas und Asiens passt sich das Konsumverhalten der Bevölkerung sehr schnell westlichen Maßstäben an, ohne dass allerdings eine Entsorgungsinfrastruktur vorhanden ist. Dies führt zu dramatischen Verschmutzungen, insbesondere durch Plastikabfälle. Das Umdenken ist da, aber wir stehen vor erheblichen Investitionen in eine vernünftige Infrastruktur. Schnelle Fortschritte verzeichnen wir insbesondere im Kunststoffbereich. Hier sind Unterstützung und Zusammenarbeit unverzichtbar. Wir haben nicht die Zeit, die wir beispielsweise in Deutschland gebraucht haben, um das heutige Niveau der Entsorgungsinfrastruktur zu erreichen.

In vielen Bereichen liegt ein großer Fokus schon auf Nachhaltigkeit – zum Beispiel beim Thema Mobilität. Ergeben sich hieraus neue Herausforderungen für die Abfallwirtschaft – Stichwort »Entsorgung von Autobatterien«?
Sowohl klassische Autobatterien als auch Batterien für die Elektromobilität bedürfen dringend eines besseren Recyclings. Lithium-Ionen-Akkus und Batterien sind heute für viele Geräte die Energiespender. Kamen im Jahr 2018 ca. 52.000 Tonnen Gerätebatterien in Deutschland in den Umlauf, wuchs diese Menge im Jahr 2021 auf 63.000 Tonnen, Tendenz steigend. Eine Herausforderung ist, dass weniger als die Hälfte der kleinen Energiespeicher nach der Nutzung zu den Sammelstellen zurückgebracht werden. Das erschwert die korrekte Entsorgung und verhindert das gewünschte Recycling dieser Materialien und letztlich eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Hinzu kommt, dass jede dieser Batterien eine potenzielle Gefahr in sich birgt. Bei einem unsachgemäßen Umgang mit Lithium-Ionen-Batterien und bei falscher Entsorgung kann es schnell zu Kurzschlüssen und zu gravierenden Bränden kommen. Schon jetzt sind die Schäden immens. Zu diesem Thema wenden wir uns zurzeit wieder stärker an die Öffentlichkeit und leisten Aufklärung. Sie sehen: Die Herausforderungen lassen nicht nach.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.