Interview
KI beschleunigt Arbeitsabläufe – Interview mit Prof. Dr. Albrecht Schmidt, Lehrstuhlinhaber für Informatik, Ludwig-Maximilians-Universität München
ideas: Herr Professor Schmidt, Sie sind Lehrstuhlinhaber am Institut für Informatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Hier beschäftigen Sie sich unter anderem mit der Zusammenarbeit von Mensch und Computer oder wie der menschliche Verstand durch digitale Technologien erweitert werden kann. Können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie das erste Mal mit dem Thema Künstliche Intelligenz in Berührung gekommen sind?
Prof. Dr. Albrecht Schmidt: Im Studium (vermutlich 1993) habe ich das Thema Neuronale Netze bearbeitet und wissenschaftliche Arbeiten über maschinelle Mustererkennung und den Bezug zum menschlichen Gehirn gelesen. Das hat mich stark beeindruckt und für den Themenbereich Künstliche Intelligenz und biologieinspirierte Systeme begeistert. Danach habe ich mehr über Wissensrepräsentation gelernt und in einem Programmierprojekt genetische Algorithmen implementiert. Für meine Masterarbeit war ich in Manchester und habe dort eine neue Variante eines künstlichen Neuronalen Netzes mitentwickelt und auch publiziert. In der anschließenden Promotion beschäftigte ich mich verstärkt damit, wie Menschen mit intelligenten und adaptiven Systemen interagieren können.
Seit einigen Wochen schlägt der Chatbot ChatGPT hohe Wellen, mit dem auch Privatpersonen – meist das erste Mal – Künstliche Intelligenz erleben können. Auch viele Experten zeigen sich bezüglich der Qualität und Leistung des Chatbots beeindruckt. Sie auch?
Trotz des eigentlich sehr einfachen Konzepts, das hinter solchen Sprachmodellen steht, sind die Ergebnisse, die ChatGPT produziert, sehr interessant. Die Qualität, in der Text und Programmcode erstellt werden kann, beeindruckt mich. In Diskussionen habe ich viel darüber gelernt, für welche Aufgaben es hervorragende Ergebnisse bringt und für welche es besser nicht eingesetzt wird. Auch die iterative Nutzung, also Anfragen zu stellen und sie schrittweise zu verfeinern, ergibt sehr interessante Ergebnisse. Auch die Nutzung von ChatGPT in Kombination mit Datenbanken oder klassischen Websuchen beschleunigt Arbeitsabläufe.
Die Firma OpenAI, die hinter ChatGPT steht, sagt, dass sie das Programm der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellt, damit es besser wird. Wie können wir uns das vorstellen? Wie »lernt« eine Maschine?
Ich bin gespannt, was es bedeutet, das Programm für die breite Masse zur Verfügung zu stellen. Betrachtet man das Potenzial von ChatGPT als Werkzeug in verschiedenen Bereichen, würde ich erwarten, dass zumindest Teile oder bestimmte Funktionen zeitnah monetarisiert werden.
Große Sprachmodelle leben von Daten und in diesem Fall von Texten. Ich würde erwarten, dass OpenAI die erzeugten Texte und auch die Interaktion damit speichert. Ein Nutzer erzeugt zum Beispiel einen Textabschnitt mit ChatGPT aus Stichworten. Häufig werden Nutzer Text mehrfach generieren und Texte auch noch editieren. Das sind alles wertvolle Daten für das weitere Training großer Sprachmodelle.
Eine Maschine lernt, indem die Daten in einer Struktur gespeichert werden, die eine Generalisierung dieser Daten erlaubt. Beim überwachten Lernen lernt das System zu einer Eingabe die gewünschte Ausgabe.
Gibt es auch Grenzen, was Künstliche Intelligenz leisten bzw. erlernen kann?
Es ist natürlich begrenzt, was KI kann. Große Sprachmodelle haben kein inhaltliches Verständnis der Texte. Aktuelle Ansätze im maschinellen Lernen können unheimlich große Datenmengen verarbeiten und so speichern, dass eine Generalisierung möglich wird. Das ermöglicht sehr viele neue Anwendungen, die von außen betrachtet intelligent erscheinen. Solche Anwendungen können dann auch kognitive Aufgaben lösen oder auch Tätigkeiten übernehmen, die wir als kreativ betrachten. Sie erscheinen als kreativ und intelligent – scheinen!
Auf welchen Gebieten könnte Künstliche Intelligenz in naher Zukunft zum Einsatz kommen? Und wo wird sie vielleicht auch schon genutzt, aber man merkt es gar nicht?
Wir sollten uns nicht scheuen, Systeme wie ChatGPT für Aufgaben zu verwenden, die keine menschliche Intelligenz brauchen. In allen Gebieten, in denen Texte erstellt oder Grafiken erzeugt werden, wird KI zum Einsatz kommen. Im Bereich der Programmierung und Produktion von Software wird es schon teilweise eingesetzt. Hier erwarte ich einen massiven Produktivitätsgewinn. Es wird aber auch weiterhin umfassender Expertise bedürfen, wenn man sichere und performante Software erstellen möchte.
Im juristischen Bereich, der auch sehr stark auf Texten basiert, ist es ebenfalls absehbar, dass KI-Prozesse Aufgaben beschleunigen können. Bei Vertragsformulierungen, dem Vergleich von Dokumenten oder der Erstellung von Begründungen können KI-Werkzeuge Vorgänge beschleunigen. Hier geht es nicht um vollständige Automatisierung, sondern um Arbeitseffizienz.
Weitere Möglichkeiten sind die Dokumentation in der Medizin oder im Handwerk und das Erstellen von Präsentationen. Auch im Medienbereich halten KI-Werkzeuge bereits Einzug. Viele Nutzer verwenden schon jetzt alltäglich KI-Systeme, zum Beispiel beim Übersetzen von Dokumenten oder beim Diktieren von Texten.
Vielen Menschen macht Künstliche Intelligenz Angst. Die einen haben sich unkontrolliert selbstständig machende Maschinen im Kopf, die anderen befürchten, dass sie menschliche Arbeit überflüssig machen könnte. Sind diese Befürchtungen berechtigt?
Ich glaube nicht, dass sich Maschinen selbstständig machen und dass wir hier Angst haben sollten. Maschinen haben kein Bewusstsein und auch keine Motivation. Menschen hingegen haben oft eine Motivation, Vorteile zu erreichen. Hier glaube ich, gibt es eher ein Risiko. Das vereinfachte und beschleunigte Erstellen von Systemen macht es potenziell möglich, dass mehr Menschen in die Lage versetzt werden, (digitale) »Waffen« zu bauen.
Für bestimmte Aufgaben werden Menschen nicht mehr benötigt werden. Wenn wir unsere Aufgaben bei gleicher Qualität in 20 statt 40 Stunden erledigen können, ist das aus meiner Sicht positiv. Ich glaube, es gibt wenig Widerspruch gegen eine 20-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.