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Eine Recherche ist oft ein komplexes Rätsel – Interview mit Melanie Bergermann, Wirtschafts- und Investigativjournalistin
Die Wirtschafts- und Investigativjournalistin Melanie Bergermann hat für ihre Recherchen zum Wirecard-Fall den DDV-Preis für Wirtschaftsjournalismus 2022 als »Journalistin des Jahres« erhalten. Ein Gespräch über fehlende Antworten, Durchhaltevermögen und warum sich gute Beziehungen zwischen Journalistinnen und Journalisten und Unternehmen für beide Seiten lohnen.
Frau Bergermann, zunächst noch einmal Glückwünsche zur Auszeichnung als »Journalistin des Jahres 2022«. Nun haben Sie bereits einiges an Lorbeeren eingesammelt. Welche Bedeutung hat diese jüngste Anerkennung für Sie?
Melanie Bergermann: Ich schreibe viel über börsennotierte Gesellschaften, gerne auch über solche, bei denen es gerade nicht rundläuft oder die meines Erachtens nicht zum Wohle aller Aktionäre wirtschaften. Ich kann nicht erwarten, dass das jeder gut findet. Umso mehr freut es mich, dass Ihre Jury bestehend aus Mitgliedern und Fördermitgliedern meine Arbeit offenbar schätzt.
Sie gehören zu den wenigen Investigativjournalistinnen in Deutschland. War das immer Ihr Berufswunsch und wie hat sich das im Laufe der Jahre entwickelt?
Ursprünglich wollte ich mal Sport-Reporterin werden und im Radio Fußballspiele kommentieren. Das Interesse an Wirtschaftsthemen kam eigentlich erst zum Ende des Studiums. Bei der WirtschaftsWoche habe ich dann sehr schnell gemerkt, dass es mir am meisten Spaß macht, tief irgendwo reinzubohren. Ich kam also mehr oder weniger durch Zufall zu meiner heutigen Aufgabe.
Sie haben im Skandal rund um Wirecard sehr früh tief gegraben: Gab es bei Ihren Recherchen jemals einen Punkt, an dem Sie selbst nicht glauben konnten, was tatsächlich geschieht oder geschehen ist?
Ehrlich gesagt, kann ich heute immer noch nicht ganz glauben, dass das alles wirklich passiert ist. Was mir noch gut in Erinnerung ist: Als herauskam, dass liquide Mittel von Wirecard in Milliardenhöhe zum Großteil auf Treuhandkonten lagen, habe ich mal kurz gedacht, dass das Geld vielleicht gar nicht existiert. Den Gedanken habe ich mir aber gleich wieder verboten. Das schien einfach zu absurd. Erst als wir den Namen des ersten Treuhänders hatten und sahen, was das für ein schräger Vogel ist, fand ich die Vorstellung nicht mehr absurd. Aber so richtig fassen kann ich das bis heute nicht.
Würden Sie gerne wissen, wo Jan Marsalek ist?
Klar. Wenn Sie mir seine Adresse organisieren, bekommen Sie meine Schalke-Anleihen.
Investigativjournalismus ist häufig mit langwierigen und umfassenden Recherchen verbunden. Was treibt Sie an und gibt Ihnen das nötige Durchhaltevermögen?
Eine Recherche ist für mich oft wie ein komplexes Rätsel. Ich habe eine These und will wissen, ob sie stimmt und bevor ich das nicht weiß, kann ich nicht aufhören.
Kritische Berichterstattung ist nicht bei allen Unternehmen gleichermaßen beliebt. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Kommunikationsfehler im Umgang mit Journalistinnen und Journalisten?
Dass viele Pressesprecher kaum noch den persönlichen Dialog mit Journalistinnen und Journalisten suchen, ist aus Unternehmenssicht fatal. Wenn ich viele Fragen habe, dann schicke ich die natürlich per Mail. In den allermeisten Fällen greife ich aber auch zum Telefon und signalisiere, dass ich mich über ein Gespräch sehr freuen würde. Nur will fast keiner sprechen, wenn die Fragen kritisch sind. Das halte ich für unklug. Nur durch den persönlichen Austausch können sie ein Vertrauensverhältnis aufbauen – das zum Vorteil beider Seiten ist.
Vor vielen Jahren waren die Medien die sogenannte Vierte Macht im Staat. Heute werden Journalistinnen und Journalisten auch mit Fakenews in Verbindung gebracht. Wie ist es Ihrer Meinung nach um die Macht der Medien bestellt?
Ehrlich gesagt habe ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht. Ich möchte, dass gerade Anlegerinnen und Anleger gut informiert sind und auch Informationen bekommen, die Unternehmen lieber verbergen. Sie haben dann die Macht, das Richtige zu tun.
Welche Themen haben Sie am liebsten bearbeitet und an welchen würden Sie gerne noch recherchieren?
Die Recherchen zur Adler Group haben sich sehr gelohnt, vor allem in der Nachschau. Seit 2015 habe ich mehrfach sehr kritisch über die Immobiliengruppe geschrieben. Das Unternehmen hat meine Recherchen oft dementiert oder kleingeredet. Der gerade veröffentlichte Sonderprüfungsbericht von KPMG hat meine Sichtweise aber nun bestätigt.
An welchem Thema arbeiten Sie zurzeit?
Darüber zu sprechen wäre unklug. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als wochenlang zu recherchieren und dann von anderen Medien überholt zu werden.
Woran merken Sie, dass es sich lohnt, an einem Thema dranzubleiben?
Das sind oft ganz banale Sachen. Wenn ich Fragen an ein Unternehmen richte und es sofort sehr aggressiv reagiert oder wenn die Veröffentlichungen eines Unternehmens sehr euphorisch sind, obwohl es Probleme gibt, dann sind das oft Indizien dafür, dass etwas im Argen liegt.
Welche Frage würden Sie als Journalistin nie selbst beantworten?
An welchen Themen ich gerade arbeite.
Auf welche Frage haben Sie als Journalistin nie eine klare Antwort bekommen?
Wie viele der mehr als 5.000 Wirecard-Mitarbeiter wussten oder ahnten, dass es sich um einen Betrugsfall handelt?
Was ist Ihre wichtigste Fähigkeit, um erfolgreich zu arbeiten?
Ich habe sehr viel Geduld. Wenn es bei einer Recherche nicht vorwärtsgeht, lasse ich das Thema gegebenenfalls monatelang ruhen und schaue dann noch mal drauf.
Sie haben früh angefangen, sich für die Kapitalmärkte zu interessieren. Was war Ihr erstes Investment?
Das waren Aktien von Uranium Participation. Die hatte mein Kollege Frank Doll empfohlen. Mit seinen Tipps fahre ich immer ganz gut.
Und wie sorgen Sie für die Rente vor?
Ich habe einen bunten Strauß zusammengestellt. Neben der Presseversorgung gibt es noch zwei Rentenversicherungen, ein bisschen Gold und ein Depot mit Aktien und Anleihen. Da liegen ein paar Zockerwerte drin, aber das meiste ist auf langfristige Erträge ausgelegt.
Das Gespräch führte der Deutsche Derivate Verband.