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Friend-Shoring: Die Bedeutung für Wechselkurse

Ein neues Buzzword ist gerade in Ökonomenkreisen hip: »Friend-Shoring«. Dieser Begriff bezeichnet eine Umstellung von Lieferketten so, dass westliche Industrieländer einen größeren Anteil ihrer Vorleistungen von politisch befreundeten Volkswirtschaften beziehen. Im Endeffekt beschreibt er also eine Welt, in der politische Differenzen zu einem relevanten Faktor dafür werden, wie viel Handel Länder miteinander treiben. Würde Friend-Shoring zu einem relevanten Faktor, hätte das auch Auswirkungen auf die Wechselkurse.

Friend-Shoring – ein realistisches Szenario
Ist Friend-Shoring nur ein neues Buzzword, das gerade mal hip ist, weil US-Finanzministerin Janet Yellen es neulich in einer Rede aufgenommen hat? Oder steckt mehr dahinter? Ich sehe drei potenzielle Treiber für einen Umbau der Welthandelsbeziehungen in Richtung Friend-Shoring:

1. Unternehmen müssen sich auf neue Lieferkettenrisiken einstellen
Das Risiko, dass politische Faktoren die Stabilität von Handelsbeziehungen gefährden könnten, hat zugenommen. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Sanktionen westlicher Länder gegenüber Russland sind dafür das augenscheinlichste jüngste Beispiel. Darüber hinaus gibt es weitere Entwicklungen, die in diese Richtung weisen:

  • Der Brexit und der Handelskrieg der US-Regierung unter Donald Trump mit China haben deutlich gemacht, dass der seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu beobachtende Prozess zunehmenden Freihandels auszulaufen scheint. Handelsbeziehungen werden, so scheint es, in zunehmendem Maße zum Instrument von Politik. Solche, die Gegenstand zukünftiger Handelskriege werden könnten, erscheinen damit als riskanter.
  • Chinas wirtschaftlich desaströse Null-Covid-Politik macht deutlich, dass die kommunistische Führung in Peking nicht – wie viele lange glaubten – ökonomischen Erfolg zum Primat ihrer Politik macht, sondern dass andere politische Ziele Vorrang haben können. Damit scheinen Liefer- und Absatzketten, in denen China eine vitale Rolle spielt, für ausländische Unternehmen riskanter zu sein, als sie noch vor kurzem erschienen.

Unternehmen dürften, wenn sie den Status quo ihrer Liefer- und Absatzketten als riskanter einstufen, geneigt sein, sie von sich aus in Richtung politisch näherer Handelspartner umzubauen.

2. Staaten dürften Regulierungsbedarf in Richtung Friend-Shoring sehen
Im freien Wettbewerb wird ein Unternehmen mit den Grenzkosten seiner Produktion entlohnt. Es erhält keine Prämie dafür, dass es seine Lieferketten so gestaltet, dass Versorgungssicherheit für die Gesamtvolkswirtschaft hergestellt wird. Selbst wenn ein Unternehmen neue politische Risiken bei der Umgestaltung seiner Lieferketten berücksichtigt, wird es das nur in dem Umfang tun, wie sie den eigenen Gewinn gefährden könnten. Es kann und wird nicht von sich aus berücksichtigen, welche potenziellen Folgeschäden ein Risikoereignis für die gesamte Volkswirtschaft hätte. Das ist in einer Marktwirtschaft nicht Aufgabe von Unternehmen.

Das muss aber die Politik im Blick haben. Deshalb dürften Regierungen Regulierungsbedarf dort sehen, wo das Unternehmensverhalten nicht von sich aus in einem gesamtwirtschaftlich sinnvollen Umfang politische Lieferkettenrisiken berücksichtigt. Diese Situation dürfte regelmäßig vorliegen. Und deshalb dürften staatliche Vorgaben in Richtung resilienter Lieferketten eher zur Norm als zur Ausnahme werden.

3. Konsumenten berücksichtigen in zunehmendem Umfang politische Umstände im Produktionsland
Konsumenten treffen ihre Konsumentscheidungen in zunehmendem Umfang nicht mehr nur auf Grundlage von Preis und Qualität der angebotenen Waren. Mehr und mehr werden auch die Umstände der Produktion zu einem relevanten Faktor von Kaufentscheidungen. Sei es, dass Fleisch und Wurst mit einem Preisaufschlag verkauft werden können, wenn eine tierfreundliche Haltungsform ausgewiesen wird; sei es, dass Produkte, die nachweislich ohne Kinderarbeit hergestellt wurden, einen höheren Preis erzielen als vergleichbare Produkte ohne diesen Nachweis. Und wir sehen erste Indikatoren dafür, dass auch politische Umstände in den Produktionsländern für Konsumenten zunehmend relevant sind. Westliche Unternehmen, die weiterhin in Russland Geschäfte machen, müssen schmerzhafte Reputationsverluste hinnehmen, weshalb viele weit jenseits der Sanktionsvorgaben ihre Russland-Aktivitäten einschränken. Industriekonzerne, in der von Uiguren besiedelten chinesischen Region Xinjiang produzieren, sind im Westen zunehmender Kritik ausgesetzt.

Jenseits aller politischen und ökonomischen Aspekte der Produktion erzwingen somit auch Absatzerwägungen womöglich ein verstärktes Friend-Shoring.

Warum Welthandelsströme für Wechselkurse relevant sind
Es ist kaum abzuschätzen, wie stark diese drei Kanäle auf die Welthandelsbeziehungen wirken werden. Was wir aber abschätzen können, ist, wie sich Handelsbeziehungen qualitativ ändern und welche Auswirkungen das auf Wechselkurse haben kann.

Viele FX-Analysten untersuchen »Flows«, die Änderung von Währungspositionierungen bestimmter Gruppen von Devisenmarktteilnehmern, häufig: die »spekulativer« Marktteilnehmer, um daraus Rückschlüsse auf Wechselkursentwicklungen abzuleiten. An sich ist dieses Vorgehen schon zweifelhaft. Wie wir zeigen konnten, hat zum Beispiel die von der US-Regulierungsbehörde CFTC erfasste Änderung der Positionierung der als »spekulativ« klassifizierten Händler von börsengehandelten FX-Futures keinen Informationswert für Wechselkursentwicklungen. Auch »spekulative« Marktteilnehmer wissen im effizienten FX-Markt nicht systematisch mehr als der Marktteilnehmer-Durchschnitt.

Es gibt darüber hinaus ein viel fundamentaleres Argument gegen solche Flow-Analysen: Kapital »fließt« nicht von sich aus. Kaufen Sie eine Aktie eines US-Unternehmens, »fließt« netto kein Kapital von Europa in die USA. Ihre heimische Bank, die Ihren Kaufauftrag weitergibt, zahlt zur Ausführung Ihres Kaufauftrags mit US-Dollar von ihrem US-Dollar-Konto bei einer US-Bank oder nimmt einen Kredit am US-Interbankenmarkt auf. Ihrer Forderung gegen die US-Volkswirtschaft steht eine geringere Forderung oder höhere Verbindlichkeit Ihrer Bank gegenüber. Netto muss deshalb keine einzige Euro-US-Dollar-Transaktion stattfinden und de facto findet auch häufig keine statt. Kapital »fließt« nur, wenn auch Leistungsbilanz-Transaktionen stattfinden, in der Masse: Handelsgeschäfte zwischen Ländern. Verkauft ein europäisches Unternehmen Waren in die USA, erhöht sich tatsächlich die Forderung der deutschen Volkswirtschaft gegen die US-Volkswirtschaft. Es »fließen« US-Dollar von Konten, die US-Wirtschaftssubjekten gehören, auf Konten, die deutschen Wirtschaftssubjekten gehören. Oder, wie es der große Ökonom Paul Krugman mal (nur leicht überspitzt) ausgedrückt hat: »Damit Kapital fließt, müssen Container auf Schiffe geladen werden.«

Da Handelsströme den größten Teil der Leistungsbilanztransaktionen ausmachen, sind sie für die Wechselkurse äußerst relevant. Das sind die »Flows«, die wirklich wechselkursrelevant sind, nicht diejenigen, die viele FX-Analysten Ihnen als wechselkursrelevant verkaufen wollen.

Friend-Shoring findet bereits statt
Wie hoch das bilaterale Handelsvolumen zweier Volkswirtschaften miteinander ist, hängt von vielen Faktoren ab:

  • insbesondere von ihrer beider Größen (quantifizierbar als Bruttoinlandsprodukte),

  • signifikant auch von ihrer geografischen Entfernung (übrigens mehr, als mit Transportkosten erklärbar wäre),

  • von der Frage, ob beide Länder über eine Zoll- oder Freihandelsunion verbunden sind

  • und von kulturellen Faktoren: gemeinsamer Sprache, einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit

Wir haben untersucht, ob darüber hinaus auch Unterschiede im politischen System von Ländern für ihren Handel miteinander relevant sind. Wir haben uns 41 Volkswirtschaften angeschaut, die (a) hinreichend groß sind und Außenhandel mit vielen Ländern treiben und für die (b) in hinreichendem Umfang Daten über bilaterale Handelsbeziehungen vorliegen oder mit hoher Genauigkeit abgeschätzt werden können. Für diese Länder haben wir festgestellt, dass neben den aufgeführten Faktoren auch die politischen Differenzen zwischen den jeweiligen Ländern eine zwar noch geringe, aber (zumindest in den vergangenen Jahren) signifikante Rolle spielen. Friend-Shoring findet in moderatem Ausmaß bereits statt.

Grafik 1: Index des negativen Einflusses politischer Differenzen auf die Handelsbeziehungen

Welche Währungen würden von Friend-Shoring profitieren, welche darunter leiden?
Machen wir uns klar: Friend-Shoring wäre prinzipiell ein neues Handelshemmnis. Neben geografischer Entfernung, Zöllen etc. wäre höhere Relevanz politischer Unterschiede zwischen Staaten ein weiteres Hindernis für internationalen Warenaustausch. Ein wesentlicher Effekt verstärkten Friend-Shorings wäre also ein reduziertes Welthandelsvolumen. Davon würden die Währungen derjenigen Volkswirtschaften profitieren, die derzeit ein Handelsbilanzdefizit aufweisen. Handeln diese Länder weniger, heißt das, sie produzieren einen größeren Teil ihres heimischen Endverbrauchs selbst. Im Welt-Aggregat wächst die Nachfrage nach ihren Produkten und damit die Nachfrage nach ihrer Währung.

Wir konnten Ähnliches beobachten, als die USA Zölle auf Importe von chinesischen Waren einführten (zur Zeit der Trump-Regierung). Die USA haben teilweise mehr Waren aus Drittländern importiert, teilweise aber auch mehr eigene Waren verbraucht. Die Folge war: 2018 bis 2019 konnte der handelsgewichtete US-Dollar zulegen. Ähnliches wäre zu erwarten, wenn internationaler Handel aufgrund politischer Differenzen abnehmen würde. Gewinner wären also die Währungen von Ländern mit Handelsbilanzdefiziten: der US-Dollar, das britische Pfund. Verlierer wären die Währungen von Ländern bzw. Währungsräumen mit Handelsbilanzüberschüssen: der japanische Yen, der koreanische Won, der Euro, aber vor allem der chinesische Renminbi.

Grafik 2: G10-Leistungsbilanzsalden

Neben einem insgesamt niedrigeren Handelsvolumen wären allerdings auch Verschiebungen der Handelsströme zu erwarten. Davon dürften erneut der japanische Yen und der koreanische Won negativ betroffen sein. Sowohl Japan als auch Korea handeln intensiv mit anderen Staaten in Asien, deren politische Systeme sich deutlich von den Demokratien beider Länder unterscheiden. Die USMCA-Länder (USA, Mexiko, Kanada), die derzeit (auch nach Korrektur der Größe der beiden Volkswirtschaften) intensive Handelsbeziehungen mit Ostasien pflegen, könnten sich aufgrund größerer politischer Nähe wieder stärker auf die Handelsbeziehungen mit Europa besinnen, ebenso das Vereinigte Königreich, das nach dem Brexit seine Handelsbeziehungen mit dem Kontinent deutlich reduzierte.

Für den Euro hätte verstärktes Friend-Shoring somit sowohl positive als auch negative Effekte. Es kommt darauf an, wie stark der Welthandel insgesamt leidet und wie stark sich der USMCA- und UK-Handel nach Europa umorientiert.

Klare Aussagen lassen sich hingegen für andere Währungen treffen. Innerhalb des Währungsuniversums der Industrienationen wären US-Dollar und britisches Pfund wohl Gewinner, japanischer Yen und koreanischer Won dürften deutlich auf der Verliererseite landen.

Natürlich gilt, dass Friend-Shoring-Effekte auf Wechselkurse von anderen Faktoren (Geldpolitik etc.) überlagert werden können. Bei der Prognose der Wechselkursentwicklungen kann diese Überlegung nur einer von vielen Faktoren sein. Aber es dürfte sich lohnen, ihn zu berücksichtigen.

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BEST Turbo-Optionsscheine

WKN

Basiswert

Typ

Basispreis/Knock-Out-Barriere

Hebel

Laufzeit

Geld-/Briefkurs

SF2 B27

EUR/USD

Call

0,8645 USD

5,6

Unbegrenzt

17,77/17,78 EUR

SB2 ELW

EUR/USD

Call

0,9861 USD

16,2

Unbegrenzt

6,17/6,18 EUR

SF5 81M

EUR/USD

Put

1,2640 USD

4,9

Unbegrenzt

20,28/20,29 EUR

SH4 6FH

EUR/USD

Put

1,1272 USD

13,8

Unbegrenzt

7,24/7,25 EUR

SD7 33S

EUR/GBP

Call

0,7126 GBP

5,7

Unbegrenzt

17,59/17,60 EUR

SN1 BYG

EUR/GBP

Call

0,8071 GBP

15,2

Unbegrenzt

6,46/6,47 EUR

SN1 BYK

EUR/GBP

Put

1,0205 GBP

5,4

Unbegrenzt

18,53/18,54 EUR

CL7 FF2

EUR/GBP

Put

0,9107 GBP

17,2

Unbegrenzt

5,81/5,82 EUR

CJ4 VJV

EUR/JPY

Call

118,1677 JPY

5,9

Unbegrenzt

16,98/17,01 EUR

SH6 2N8

EUR/JPY

Call

133,7511 JPY

16,4

Unbegrenzt

6,07/6,10 EUR

SN2 2GM

EUR/JPY

Put

167,7308 JPY

5,6

Unbegrenzt

17,88/17,91 EUR

SD9 2MA

EUR/JPY

Put

151,8716 JPY

14,8

Unbegrenzt

6,73/6,76 EUR

Faktor-Optionsscheine

WKN

Basiswert

Strategie

Faktor

Laufzeit

Geld-/Briefkurs

SF5 4FH

EUR/USD

Long

2

Unbegrenzt

3,94/3,95 EUR

SF5 4FL

EUR/USD

Long

5

Unbegrenzt

2,73/2,74 EUR

SF5 4FR

EUR/USD

Long

10

Unbegrenzt

1,34/1,35 EUR

SF5 4GA

EUR/USD

Short

–2

Unbegrenzt

6,05/6,06 EUR

SF5 7WK

EUR/USD

Short

–5

Unbegrenzt

1,58/1,59 EUR

SF5 4F2

EUR/USD

Short

–10

Unbegrenzt

11,55/11,60 EUR

Stand: 23. Juni 2022; Quelle: Société Générale

Die Darstellung der genannten Produkte erfolgt lediglich in Kurzform. Die maßgeblichen Produktinformationen stehen im Internet unter www.sg-zertifikate.de zur Verfügung. Den Basisprospekt sowie die endgültigen Bedingungen und die Basisinformationsblätter erhalten Sie bei Klick auf die WKN.

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