Interview

Das grüne Öl und Gas der ZukuNft

Interview mit Prof. Dr. Robert Schlögl, Geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion

ideas: Herr Prof. Dr. Schlögl, Sie sind Direktor der Abteilung Anorganische Chemie am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft und zudem Geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion. Im vergangenen Jahr wurden Sie zum Mitglied des Nationalen Wasserstoffrats ernannt, der die Bundesregierung rund um das Thema Wasserstoff berät. Können Sie kurz erläutern, wo die elementaren Vorteile von Wasserstoff als Energieträger liegen?
Prof. Dr. Robert Schlögl: Nachhaltige Energiesysteme müssen aus einer Kombination von freien Elektronen (Strom) und gebundenen Elektronen (Molekülen) als Träger der Energie bestehen. Als molekularer Energieträger kommt Wasserstoff als universelle Lösung infrage. Er kann aus einer Reihe von Quellen erzeugt werden, von denen die Elektrolyse von Wasser die bedeutendste Option ist. Andere Methoden (Fotochemie, Pyrolyse) sind entweder noch nicht leistungsfähig genug oder können nur anteilig den Bedarf decken. Dies gilt auch für die Kombination der Reformierung von Methan und Speicherung des anfallenden CO2, die nur so vorgenommen werden kann, dass nachweislich kein Spätschaden entstehen kann. Die in Wasserstoff gespeicherte Energie wird durch Umsetzung mit Sauerstoff zu Wasser wieder frei. Dieser Kreislauf von Wasserstoff, Sauerstoff und Wasser ist umweltfreundlich und sauber. Allerdings ist Wasserstoff kein guter Energieträger, was seine Handhabung und seine Energiedichte angeht. Daher wird man ihn vor allem für den Langstreckentransport an Trägeratome binden und als »Derivate« handhaben. Dabei geht erheblich Energie verloren, aber das System der Energieversorgung wird global einheitlich und stabil. Systemische Effizienz geht vor prozessoraler Effizienz, wie uns die Natur mit ihrer fantastischen Funktionalität, aber nur 1 Prozent Energieeffizienz lehrt. Wasserstoff und seine Derivate werden das grüne Öl und Gas der Zukunft sein. Wasserstoff ermöglicht den globalen Handel und eine beliebige Speicherung von erneuerbarer Elektrizität, die damit an den effizientesten Punkten der Erde und nicht nahe beim Verbraucher gewandelt werden kann.

Gefühlt ist die Brennstoffzelle schon seit 20 Jahren im Gespräch, aber so richtig in den Fokus der Öffentlichkeit kam das Thema erst im vergangenen Jahr. Ist dies nur dem erhöhten Augenmerk auf Klimaschutz geschuldet oder gibt es hier wirklich signifikante Fortschritte in der Wissenschaft?
Brennstoffzellen sind inzwischen sehr differenziert entwickelte Aggregate in unterschiedlichen Größen für den stationären und den mobilen Einsatz. Ihre Stabilität und Handhabbarkeit haben sich im letzten Jahrzehnt wesentlich verbessert. Ebenso sind die Produktionstechniken entwickelt und der Einsatz von Edelmetall wurde deutlich reduziert. Gleichwohl ist anzumerken, dass die Nutzung von Wasserstoff keineswegs auf Brennstoffzellen beschränkt ist. In der Mobilität kann Wasserstoff auch in Gasmotoren eingesetzt werden. Weiter gibt es mechanische Wandler, die Wasserstoff in Strom mit der doppelten Effizienz wandeln, als dies im klassischen Verbrennungsmotor der Fall ist. Weiter gibt es Gasturbinen für die großvolumige Nutzung von Wasserstoff. Schließlich wird ein erheblicher Teil des Wasserstoffs in der Prozessindustrie als Energiequelle (Heizen) und als Reagens eingesetzt werden. Diese nicht mobilen Anwendungen von Wasserstoff werden der Menge nach wesentlich bedeutender sein als die Anwendung in Fahrzeugen.

Wie steht Deutschland im internationalen Wettbewerb auf dem Gebiet der Wasserstofftechnologie da?
Deutschland hat eine vielgestaltige und reiche Forschungs- und Technologielandschaft zu Wasserstoff. In Asien hat sich allerdings eine extrem agile und erfolgreiche Technologieszene entwickelt, die  in der breiten Anwendung Deutschland weit voraus ist (Wasserstoffland Japan als Beispiel). Auch in den USA wird die neue Regierung einen gewaltigen Schub an F+E-Aktivitäten auslösen, der auf eine extrem leistungsfähige, allerdings mittelfristig orientierte Forschungslandschaft trifft. Deutschland verfügt über eine verzahnte Forschungs- und Industrielandschaft, die zu Weltspitzenleistungen fähig wäre. Eine Reihe hausgemachter Faktoren behindern derzeit eine rasche Fortentwicklung. Daran ändert auch der massive Impuls der Bundesregierung mit der Wasserstoffstrategie wenig, weil bisher keine koordinierte Umsetzung der Entwicklung der gesamten Wertschöpfungskette jenseits von Forschungsprojekten angegangen wird. Würde dieser Impuls von verlässlichen und transparenten Regelungen für Infrastruktur, Strommarkt und gesetzlichen Rahmenbedingungen begleitet, so könnte in Deutschland tatsächlich eine Weltspitzentechnologie entstehen. Diese hätte erhebliche Chancen auf den Weltmärkten, was von der Bundesregierung klar erkannt wurde, aber nun zögerlich im Vergleich zu Wettbewerbern aus dem Mittleren und Fernen Osten angegangen wird.

Das Ziel der EU ist es, bis 2050 CO2-neutral zu sein. Welchen Anteil wird Ihrer Einschätzung nach die Wasserstofftechnologie daran haben?
Sollte dieses Ziel tatsächlich erreichbar sein, so wird dies ohne eine massive Anwendung von Wasserstoff unmöglich sein. In Europa wird der Anteil von Wasserstoff und seinen Derivaten etwa die Hälfte des Verbrauchs an Energie ausmachen. Dementsprechend großvolumig und stabil muss die Transportinfrastruktur sein.

Im Bereich des emissionsfreien Automobils scheint derzeit die E-Mobilität die Nase vorn zu haben. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Wasserstofftechnologie in absehbarer Zeit auch flächendeckend bei Pkws einsetzbar ist?
E-Mobilität wird einen Anteil am Mobilitätsmix haben, einfach weil sie sehr effizient ist. Wasserstoff ergänzt hier direkt als Kraftstoff (im Last-Linienverkehr), als Brennstoff für Kraftwerke, die den nötigen Ladestrom erzeugen und als Reagens für synthetische Kraftstoffe. Eine schnelle Verbesserung der Treibhausgasemission aus der Mobilität wäre der bevorzugte Einsatz von CO2-armem Wasserstoff in Raffinerien sowohl als Reagens als auch als Energiequelle. Synthetische Kraftstoffe mit verbesserter Emissionscharakteristik können als Zumischung fossile Kraftstoffe schnell umweltverträglicher machen und vollsynthetische Kraftstoffe schließlich die energetisch anspruchsvollen Mobilitätsarten (Flugverkehr Langstrecke, Schiffe, schwere Lkw) defossilisieren. Wasserstoff in der Mobilität ist sehr viel mehr als ein von Brennstoffzellen getriebener Pkw.

Die Förderung der Bundesregierung scheint sich derzeit auf die Elektromobilität zu fokussieren. Setzt sie dabei aufs falsche Pferd?
Die Antriebsstränge der nachhaltigen Mobilität werden multimodal sein. Dabei werden Elektroantriebe und Batterien wichtige Rollen spielen, aber nicht nur als konventionelle E-Autos. Eine offene Strategie für die Multimodalität, die allen Optionen den ihnen gebührenden Anteil einräumt und nicht einzelne Technologien staatlich subventioniert, wäre eine kluge Strategie.

Gibt es bei der Wasserstofftechnologie auch negative Faktoren, die beachtet werden müssen, und kann Wasserstoff unbegrenzt generiert werden?
Negative Faktoren sind eine mögliche Konkurrenz des Wasserverbrauchs mit anderen Anwendungen, Emissionen in die Atmosphäre, der Ressourcenverbrauch (Land, Mineralien) für die Technologie und ihre Infrastruktur sowie die ungünstigen physikalisch-chemischen Eigenschaften von Wasserstoff. Als Träger für erneuerbare Energie ist er jedoch in den benötigten großen Dimensionen (wie heute Öl und Gas zusammen) unverzichtbar. Der Rohstoff Wasser kann durch Meerwasseraufbereitung gewonnen werden, ohne die Kosten des Energieträgers sehr zu beeinflussen. Die Wandlungs- und Transportketten können durch Forschung und Großserienproduktion technisch leistungsfähiger werden, als sie es heute sind, und dadurch auch weniger Land verbrauchen. Dabei ist dem Recycling von Materialien eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Moderne Betriebsmittel, digitale Mess- und Regeltechnik sowie geeignete sichere Prozeduren zur Handhabung können Leckagen von Wasserstoff minimieren. Seine Kurzlebigkeit in der Atmosphäre begrenzt dabei seine Wirksamkeit als potentes Treibhausgas. Diese und zahlreiche weitere »Details« der neuen Technologie werden derzeit mit Hochdruck wissenschaftlich und technologisch bearbeitet, wozu die nationale Wasserstoffstrategie erheblich beiträgt. Wasserstoff als futuristischer Energieträger wurde in Deutschland schon mehrfach angepriesen, dieses Mal darf man aber einen Durchbruch erwarten, einfach weil es dazu keine echte Alternative gibt.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Weingärtner.